Regungslos standen Jacc und Omana da und starrten in den Himmel. Was sie da sahen, konnten sie einfach nicht glauben. Als wenn diese Massen von
Lorra-Schiffen nicht schon genug wären. In großer Höhe tauchte ein weiteres Schiff auf, in welches gut und gerne tausende von diesen, selbst schon riesigen, Raumschiffen Platz gefunden hätten und öffnete auf seiner Unterseite ein Tor.
Úru-Loki, der die beiden bemerkte, kam auf sie zu und wollte gerade fragen was los sei, blickte dann aber ebenfalls nach oben und erstarrte. »Was zum… ?« Geistesgegenwärtig fuhr er die beiden an.
»Macht, dass ihr hier weg kommt!
LOS!« Kaum hatte er das gesagt, da entlud sich aus dem Tor des riesigen Raumschiffes eine Druckwelle. Sie war nicht wirklich stark, ließ jedoch ein paar der Drachen über das Schlachtfeld taumeln. Einige von ihnen stürzen zu Boden. Als diese sahen, was sich über ihnen abspielte, war es schon fast zu spät. Plötzlich zogen sich alle
Lorra-Schiffe zurück. Die Drachen konnten nur ahnen, was nun auf sie zukommen würde. Instinktiv suchten sie in der Nähe der Gebirge Schutz. Jedoch nur wenigen von ihnen gelang es noch rechtzeitig.
Jacc hatte in einer winzigen, weiter vom Zentrum des Kampfes entfernten Höhle, Schutz gefunden, als er die Druckwelle wahrnahm. Obwohl diese ihn nicht direkt traf, wurde er gegen die gegenüberliegende Wand geschleudert. Für einen winzigen Moment verlor er die Besinnung. Als er seine Augen wieder öffnen wollte, durchfuhr ihn der Druck der zweiten Welle. Zwar blieb er diesmal bei Bewusstsein, fühlte jedoch so starke Schmerzen in seinem Körper, dass er sich übergeben musste.
»Verdammt noch mal!« stöhnte er, als er sich langsam und vorsichtig erhob. »Was zum Teufel war das?«
Er näherte sich vorsichtig dem Ausgang der Höhle und schaute in geduckter Haltung nach draußen. Was er zuerst wahrnahm, war eine unheimliche Stille. Kein Laut. Kein Geräusch. Nichts. Nur Stille.
Mehr als hundert Drachen lagen, eingehüllt von dieser plötzlichen Stille, regungslos am Boden. Trotz der großen Entfernung erkannte er einige, mit denen er sehr gut befreundet gewesen war. Erneut durchfuhr Schmerz den Halbdrachen. Diesmal jedoch kein körperlicher.
»Verdammte Lorras!« hörte er es plötzlich neben sich keuchen. Es war Omana. Er kam aus einem Versteck, nur wenige Meter von seinen entfernt. Und noch während dieser sich in einen Drachen verwandelte, stürmte er auf das Schlachtfeld zu.
»ICH MACH EUCH FERTIG!« schrie er außer sich vor Wut. Er bekam nicht mit, dass Jacc ihn zurückrief.
Jetzt wollte Jacc ihm gerade folgen, als dieser aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrnahm. Es war Úru-Loki, der dem jungen Halbdrachen folgte, welcher jetzt wie wild geworden auf das riesige Raumschiff zuflog.
»Omana! Lass das! Was soll das?« schrie dieser ihm nach und holte ihn gerade noch rechtzeitig ein. Wütend riss er ihn zurück zum Boden, als er ein leises Grummeln hinter sich spürte. Er sah in die angstvoll aufgerissenen Augen Omana‘s und blickte sich um. Ein stark gebündelter Lichtstrahl berührte den Boden, nur wenige Meter von ihnen entfernt. Ein leichtes, immer stärker werdendes Beben erschütterte die Erde. Der alte Drache drängte Omana zurück zu den Schutz bietenden Höhlen. Sie hatten sich kaum in Bewegung gesetzt, als Omana stolperte und fiel. Úru-Loki, voller Hast und Angst, versuchte dem jungen Halbdrachen hoch zu helfen. Wie von Blitz getroffen hielt er inne und drehte sich um.
»Großer Gott« flüsterte er leise.
Dann warf Úru-Loki sich blitzschnell auf Omana und bedeckte ihn mit seinem Körper. »Verzeih mir,« flüsterte er noch, dann erreichte sie eine Druckwelle, viermal so stark wie die voran gegangenen und fegte durch sie hindurch, als wären sie Luft.
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Jacc lief stumm zwischen den Leichen der Drachen umher und notierte die Namen derer, die er wieder erkannte. Er hob traurig seinen Blick zum Himmel und hoffte, dass noch ein paar andere Drachen auftauchen würden. Seitdem die Raumschiffe wieder verschwunden waren, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Wie Úru-Loki anfangs gesagt hatte, waren die
Lorras nicht auf Eroberung aus. Sie wollten nur zerstören. Sich rächen für etwas, woran die Opfer dieses Massakers eigentlich gar keine Schuld trugen. Doch Jacc konnte es damals nicht verstehen. Úri-Loki hatte nur gemeint, dass die Feigen sich eben immer erst die Schwächsten vornehmen. Jacc hatte weiter gefragt, warum diejenigen, die die Schuld an der Wut der
Lorras trugen, ihnen nicht wenigstens zur Seite standen. Schließlich waren sie doch Verbündete. Friedenspartner. Oder zumindest waren sie das mal gewesen. Jacc schluckte schwer.
Die sollen sich hier nur noch einmal blicken lassen! Dann werden sie sehen, was für tolle Friedenspartner wir sein können!»Sie haben Ruku gefunden!« hörte er hinter sich jemanden sagen. Er drehte sich um und blickte in Anamos Gesicht. Stumm nickte er nur und sah zu einem der leblos am Boden liegenden Drachenweibchen.
»Es hat keinen Sinn, ihre Namen zu notieren.« Wütend warf er den Block zu Boden. »Sie sind alle …«
Er sprach nicht weiter und sah wieder zu Anamo. »Überlebt haben nur jene, die klein genug waren, um in den Höhlen Zuflucht zu finden. Eben nur die Halbdrachen.« Er blickte sich um. »Und jene, die gar nicht erst mit hier waren. Zumindest können wir das mit Sicherheit sagen. Die ersten jungen Drachen sind schon eingetroffen und helfen bei der Bergung der Toten.«
Anamo trat neben ihn und hob den Block wieder auf. »Hast … hast du…« Er stammelte und überflog die Namen.
»Deinen Bruder? Loki? Nein. Zum Glück.« Er lies seinen Blick einen Moment lang über die Ebene schweifen. »Zumindest bisher noch nicht. Vielleicht finden wir sie auch gar nicht mehr. Du hast gesehen, was mit denen passiert ist, die im Zentrum lagen. Es ist ein Wunder, das überhaupt noch etwas von ihnen übrig ist.«
Beide senkten zugleich ihre Blicke.
»Vielleicht … vielleicht wurde er ja auch nur weggeschleudert und taucht wieder auf. Ich würde es doch sicherlich irgendwie spüren, wenn er … tot wäre. Er ist schließlich mein Zwillingsbruder. Und Loki … er …« Anamo sah auf und sah Jacc mit einen gequälten hoffnungsvollen Blick an. »Er kann doch gar nicht sterben! Schon vergessen? Er ist einer der vier Hâmaa. Er
kann gar nicht Sterben!«
Jacc nickte nur stumm und wandte sich um. »So heißt es zumindest.« Die beiden liefen stumm nebeneinander her und näherten sich einer kleinen Gruppe von jungen Drachen und Halbdrachen, die vor den Druckwellen verschont geblieben waren und nun halfen, die Toten zu identifizieren.
»Hat einer von euch Tamaris gesehen?« wurde ihnen zugerufen. »Er war nicht mit bei den jungen und ein paar der älteren meinten, ihn noch vor dem Kampf hier gesehen zu haben.«
Jacc schüttelte seinen Kopf. »Ich hab ihn von hier fort geschickt. Er sollte die Menschen im Süden in Sicherheit bringen. Seitdem hab ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Dann ist er vielleicht noch dort.« Sagte einer der jungen Drachen voller Hoffnung.
»Er… er ist nun…« Er sprach nicht weiter, aber jeder der anwesenden wusste, was er sagen wollte. Da die älteren Vollblutdrachen alle gefallen waren, war er nun der älteste von ihnen.
Jacc schluckte schwer, als er sich dies bewusst machte. Tamaris, der älteste. Und das mit seinen gerade mal zweihundertfünf Jahren. Gerade alt genug, um als ausgewachsen zu gelten, sollte er nun der älteste Drache auf Ason sein. Er schüttelte betrübt seinen Kopf.
»Hat einer von euch Loki oder Omana gesehen?« fragte er vorsichtig. Als er die überraschten Blicke der anderen sah, wusste er die Antwort bereits.
»Loki fehlt?« sprach einer der Halbdrachen die Frage aus, die allen anderen im Gesicht stand. »Waren sie nicht bei dir, als wir Schutz suchten? Ich war der Meinung.«
Ein anderer Halbdrache schüttelte, seinen Kopf. »Die beiden waren doch nach den starken Druckwellen wie verrückt auf dieses riesige Teil zugeflogen. Wurden sie etwa von der letzten erfasst?«
Jacc nickte nur. »Omana ist voller Wut losgestürmt. Ich wollte ihm hinterher, doch Loki war schneller. Ich sah nur noch, wie er ihn zurückzog. Dann war da diese Lichtsäule oder was auch immer das war. Und als es anfing zu beben, suchte ich in der Höhle Schutz. Seitdem hab ich sie nicht mehr gesehen.« Er verstummte, als ein jüngerer Drache im wilden Flug auf die Gruppe zukam.
»Sie haben Tamaris gefunden!« schrie er. »Er liegt auf Abena und ist von Felsen verschüttet!« Kaum war der Drache gelandet, musste er wieder starten. Jacc und noch ein paar andere folgten ihm auf seinem Rückweg.
- - -
»Lebt er noch?« Die Frage kam von dem jungen Drachen, der sie nach Abena geführt hatte. Jacc nickte. »Er ist schwer verletzt und wird, wenn er aufwacht, sicherlich höllische Kopfschmerzen haben. Aber er wird es überleben. Keine Angst.« Er lächelte dem Drachen zu. Der junge Drache, mit Namen Lurock, war ein enger Freund von Tamaris. Die beiden waren zusammen aufgewachsen, da die Höhlen ihrer Eltern nahe beieinander lagen. Jacc schaute den Drachen an. Es waren nicht einmal zwei Tage vergangen, als die beiden noch glücklich herumgetollt waren. Ohne Ahnung, was auf sie zukommen würde. Nun waren all diese jungen Dinger elternlos. Wie er schon geahnt hatte, war keiner der älteren Drachen, die bei der Schlacht gegen die Lorras mitgekämpft hatten, am Leben geblieben.
Er stand auf und rief einen der Halbdrachen zu sich.
»Holt die Menschen aus den Höhlen. Wir sollten sie nicht noch länger dort drin lassen.« Der andere nickte und lief mit zwei weiteren auf die Eingänge der Höhlen zu.
Jacc blickte wieder auf Tamaris, der wie ein lebloses Monstrum wirkte. Es hatte ihn immer erstaunt, wie groß der junge Drache geworden war, den er von Ei an kannte. Ruku, dessen Vater, hatte zwar eine erstaunliche Körpergröße gehabt, aber neben seinem Sohn wirkte er vor allem in letzter Zeit geradezu winzig. Jacc strich dem ohnmächtigen Drachen behutsam über den Kopf. Noch vor wenigen Tagen hatte Ruku ihm versprochen, gemeinsam zu den Honneg-Inseln zu fliegen, um sich dort mal wieder den Bauch mit Fisch und anderen Wassertieren vollzustopfen. Wehmütig dachte Jacc daran, dass daraus nun leider nichts mehr werden würde.
Er wollte sich gerade von Tamaris entfernen, um nach den Menschen zu schauen, als der Drache ein leises Stöhnen von sich gab. Überrascht schaute Jacc ihn an. Auch ein paar der anderen sahen auf und kamen auf den Drachen zu.
»Tamaris. He! Hörst du mich?« rief Jacc ihm zu, während er seinen Kopf leicht tätschelte.
Der Drache öffnete grummelnd eines seiner Augen und murmelte.
»Ja klar. Du stehst ja auch direkt vor mir.« Er schnaubte den Halbdrachen an und schloss wieder das Auge. »Wäre echt freundlich, wenn du meinen Kopf in Ruhe lassen könntest. Der dröhnt auch so schon genug.«
Jacc lächelte sein breitestes Lächeln, als er das hörte.
»Den Göttern sei Dank. Als wir dich hier fanden, dachten wir zuerst, du seiest tot!«
Der Drache schnaubte wieder, öffnete nun beide Augen und hob seinen Kopf.
»Viel gefehlt hat da ja nicht mehr.« Er sah sich um und sah auf die anderen, die sich um ihn versammelt hatten.
»Was war das, Jacc? Ich wurde mit voller Wucht gegen die Wand geschleudert. Was war bei euch los?« Er besah einen Moment seinen dunkelgrünen Körper und schaute dann wieder zu Jacc, der plötzlich mit traurigem Blick in die Augen des Drachens sah.
»Was ist passiert?« fragte er mit bebender Stimme, die nicht mehr als ein Flüstern war.
- Prolog Ende -